Folge 4: Den Schrecken bändigen
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Der Verlust des eigenen Kindes oder Partners ist nahezu immer traumatisch. In dieser Situation geht die Seele auf Tauchstation, sie beamt dich fort. Etwas in dir steigt aus der Wirklichkeit aus, um so den Schrecken irgendwie überleben zu können. Du weißt, wovon ich spreche, denn auch du hast ein Trauma erlebt. Die schlimmste denkbare Situation, die unmittelbar mit der Zerstörung des Lebens deines Kindes oder Partners zu tun hatte. Du erinnerst dich, wie du den Boden unter den Füßen verloren hast. Wie du schockiert erfuhrst, was geschehen war und sich alles gleichzeitig unwirklich, fremd und falsch anfühlte. Es war etwas Entsetzliches passiert, das wusstest du, aber du konntest es nicht fassen in seiner vernichtenden Größe. In der Zeit nach der Traumatisierung holt dich der Schrecken immer wieder ungewollt ein. Dann schießt das schlimmste unerträgliche Bild in dein Hirn, das auszuhalten du nicht in der Lage bist. Du zitterst, willst dir Augen und Ohren zuhalten, willst es wegmachen, willst wegrennen. Alles in dir versucht, sich zu verstecken, zu vermeiden und abzutauchen. Es ist wiederholt die Erfahrung von totalem Kontrollverlust.
Menschen, die so etwas erlebt haben, brauchen oft lange Zeit, um sich von dem unfassbaren Schrecken zu erholen. Es dauert, bis man Angst, Lähmung und Betäubung so weit hinter sich zu lassen kann, dass man in der Lage ist, eine Sprache für das zu finden, was einem zugestoßen ist. Oft gelingt das mit der Zeit von selbst und das Ausmaß an Vermeidung wird immer weniger. Aber manche von euch entwickeln nach dem Verlust eine Traumafolgestörung. Dann hören die Bilder nicht auf, dich zu quälen und du bleibst gelähmt. Du kannst nicht darüber sprechen, ohne völlig die Fassung zu verlieren. In dem Fall ermutige ich dich immer wieder, dass du es wagst, dich deiner Wunde zuwenden und sie zu beschreiben. Ich mache dir Mut, mit mir zusammen ganz dicht an das schlimmste Bild heranzugehen, direkt drauf zu, mitten hinein. Ich versuche dich zu ermutigen, es zu erleben, die Gefühle zu spüren und ich spreche dir Kraft zu, dass du die Erfahrung machen kannst, dem Schrecken ins Angesicht zu schauen, ohne zu zerschellen. Dass es dir gelingt, die Todesangst zu bändigen und auf deine Wunde zu blicken. All das zähmt die Traumatisierung und erlaubt dir, die Fesseln der Vermeidung abzulegen.
Wer ganz im Trauma stecken bleibt, läuft Gefahr, einen großen Teil der eigenen Emotionalität einzubüßen. Dann muss deine Seele immer auf der Hut sein und jeder noch so kleine Trigger wirft dich tagelang aus der Bahn. Wenn du ständig in der Vermeidung lebst, bleibt die Schreckhaftigkeit eine Konstante deines Lebens. Auch der Besuch von Gruppen, wo andere vom Horror des eigenen Verlusts berichten, wird für dich dann zur Tortur. All das wühlt dich innerlich auf und wieder erlebst du den unerträglichen Schrecken des Ausgeliefertseins. Dann quält dich das Beisammensein, anstatt dass es dir hilft. Deine Hoffnung, dass es nach Jahren von selbst vergehen müsste, wird oft enttäuscht. Im Gegenteil: je mehr du vermeidest, desto sensibler wirst du auch für ganz kleine Reize.
Deshalb möchte ich dich immer wieder ermutigen, dass du es wagst, dich gegen die mächtigen Bilder des Traumas zu stellen und sie mit Hilfe deiner Sprache zu bändigen. Niemand soll dich gegen deinen Willen dazu zwingen. Du selbst darfst entscheiden, wann du bereit bist für diese Reise. Und diese Wunde wird auch nicht heilen können. Dafür ist sie zu groß. Aber du kannst sie bedeutend lindern. Alles, was du durch Worte beschreibst, überwindet deine Sprachlosigkeit. Mach es zu deiner Geschichte, dann kann es dich nicht mehr vernichten.
Wenn du dafür Hilfe brauchst, dann hole sie dir.
David Althaus