Folge 5: Dein Weg der Trauer

 

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Du hast einen schweren Verlust erlitten und kannst dein Leben nicht einfach fortsetzen, als sei nichts geschehen. Mit dem Verlust brach die alte Ordnung deines Lebens zusammen und eine neue findet sich nicht auf die Schnelle. Wer ein Kind oder den seit Jahrzehnten innig verbundenen Partner verliert, ist in seinen Grundfesten erschüttert. Mit dem anderen stirbt ein Teil von einem selbst. Es bedarf einer oft jahrelangen Anpassung an diese neue Lebenssituation. Diesen transformatorischen Prozess nennen wir Trauer, sie beschreibt den Weg aus dem alten, nicht mehr vorhandenen Leben, in eine neue Wirklichkeit ohne die Gegenwart des verstorbenen Menschen.

Ich erkläre euch immer wieder, was die Trauer in eurem Leben bewirkt, und versuche dich zu ermutigen, deinen Weg in dein neues Leben zu finden. Anfangs fällt dir das sehr schwer, denn du willst ja gar kein neues Leben. Du möchtest nur einfach das alte zurück, denn es war gut und du warst zufrieden. Alles in dir wehrt sich, dass so vieles nur mehr der Vergangenheit angehört, obwohl gerade eben alles noch ganz anders war. Dein Leben war wie ein Versprechen auf die Zukunft und nun fühlst du dich betrogen, betrogen um dein eigenes gutes Leben. Oft verdrängst du, was dir zugestoßen ist, und wenn es dir dann plötzlich wieder klar wird, wenn der Gedanken in dein Hirn schießt, dass dein geliebter Mensch gestorben ist und nie wieder kommt, dann erschrickst du immer wieder aufs Neue und es schnürt dir den Atem ab.

Dein Leben hat jede Selbstverständlichkeit verloren. Anfangs scheinst du alles neu lernen zu müssen. Natürlich weißt du, wie man isst, trinkt, duscht und den Tisch deckt. Du weißt, wie man einkauft und das Auto betankt. Und trotzdem ist nun alles anders, wie aus dem Zusammenhang gerissen, und es fühlt sich irreal an. Die Welt dreht sich einfach weiter, es kümmert sie nicht, was dir passiert ist. Alles ist wie immer, nur für dich nicht. Denn bei dir ist der Boden von früher nicht mehr vorhanden. Du taumelst und tastest dich vorsichtig voran. Noch vor kurzem war alles vertraut. Da kanntest du dein Leben und wusstest, was dir Freude macht. Du hattest Ziele und Pläne. Nun ist alles wie weggewischt. Ungültig, aus und vorbei, zu Ende, für immer.

All dieses Erleben ist normal und ich werde es dir immer wieder sagen. Durch dieses Dickicht aus Entwurzelung, Verzweiflung und Traurigkeit suchst du deinen Weg in der Hoffnung nach Licht. Es kommt dir oft sinnlos vor, aber du gehst trotzdem irgendwie weiter und ich ermutige dich, nicht stehenzubleiben, nicht zu erstarren, sondern nach dem Guten Ausschau zu halten. Es hört sich für dich fast wie Hohn an, aber ich bin überzeugt, dass dein Leben gut werden kann. Dass du wieder sagen kannst: ich lebe gerne. Dass in deinem Leben wieder Freude und Dankbarkeit möglich werden. Du bist auf dem Weg, es ist der Weg deiner Trauer und du selbst wirst herausfinden, welche Richtungen du einschlägst. Und du brauchst viel Geduld.

Gerade am Anfang kommt dir das so vergeblich vor, denn wo du auch hingehst, wird es immer ein Leben sein, in dem der verstorbene Mensch nicht mehr da hat. Er wird nie mehr unvermittelt das Zimmer betreten, dich anrufen oder in deinen Armen liegen. Gegenwärtig ist er allenfalls in deinen Erinnerungen, in deinen Gedanken und in deiner Liebe. Er erscheint in den Erzählungen der anderen und vielleicht auch in deinen Träumen. Doch diese Aussicht tröstet dich lange Zeit nicht. Draußen bemühst du dich, irgendwie zu funktionieren, und die anderen sehen dir deinen Schmerz nicht an. Bei mir zeigst du deine Wunde und es gibt nichts zu beschönigen. Du leidest. Ich werde nicht müde dich zu ermutigen, weiterzugehen.

Es ist dein Weg der Trauer.



David Althaus

 
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