Folge 2: Trauma und Trauer

 

Hören

 
 

Lesen

Der Begriff Trauma kommt aus dem Griechischen und heißt „Wunde“. Trauma entsteht durch eine absolute Ausnahmesituation und beinhaltet das Erleben denkbar größter Lebensbedrohung, extremer Angst, Kontrollverlust, Ausgeliefertsein und finaler Hilflosigkeit. Der Mensch findet sich in einer Situation wieder, auf die er in keiner Weise vorbereitet ist, die ihn überwältigt und keine Handlungsoption offenlässt.

Es gibt keine Chance, durch Flucht zu entkommen, auch Kampf ist unmöglich.

Es ist die völlige Preisgabe in eine ausweglose Situation, eine massive Überforderung der Psyche, ein Geschehen, das alles bedroht, was unser Sein bis dahin bedeutete. Durch das Trauma erleben Menschen ein hohes Maß an Destabilisierung. Typische Symptome sind Flashbacks und sich aufdrängende Erinnerungen an die Situation, eine körperliche Übererregung und starkes Vermeidungsverhalten in Bezug auf alles, was mit der traumatischen Situation in Verbindung steht. Auf den ersten Blick wirken traumatisierte Menschen oft stark, aber eigentlich funktionieren sie meist nicht mehr gut. Selbst alltägliche Routinen können sehr mühsam werden.

Die Forschung über Trauma und seine Behandlung wurde an Menschen unternommen, die verschiedene Formen der Traumatisierung erlitten haben: Unfallzeugen, Unfallopfer, Opfer sexueller Traumatisierung etc. Diese Menschen haben Entsetzliches erlitten, und doch unterscheiden sie sich fundamental von Menschen, die den Tod ihres Kindes oder Partners erleben mussten. Wer Zeuge eines tödlichen Unfalls wird, erlebt maximale Angst und grausame Bilder von Zerstörung menschlichen Lebens. Auch hier ist die Verarbeitungskapazität der Seele überfordert. Aber es ist nicht der geliebte Mensch, der da stirbt.

Du bist nicht Zeuge irgendeines schlimmen Geschehens geworden, sondern du hast erlebt, wie dein Kind oder Partner starb. Menschen, die durch den Tod eines nahen Angehörigen traumatisiert sind, unterscheiden sich insofern stark von anderen Trauma-Opfern, als die Traumatisierung durch die Verlustsituation nur der kleinere Teil der Herausforderung ist. Natürlich werden auch Hinterbliebene von Flashbacks gequält und erleben schmerzhafte Retraumatisierungen. Viel schwerer ist es allerdings, mit der Tatsache umzugehen, dass der geliebte Mensch gestorben ist, dass er wirklich fort ist, dass das Leben von jetzt an für immer ein ganz anderes sein wird. Diesen Prozess der Neuanpassung nennen wir Trauer und letztlich soll sie die Menschen befähigen, vom alten Leben Abschied zu nehmen und mit der Zeit ein neues Leben für sich entwickeln.

Aber wenn das Trauma dich im Griff hat, kann es sein, dass die Trauer sich nicht entwickeln kann. Dann muss erst das Trauma angegangen werden. Das erfordert Mut und Bereitschaft von den Betroffenen. Andererseits kennen wir viele gut beschreibbare Methoden, wie man die Traumatisierung lindern kann. Da gibt es Techniken, die einem helfen können, dass die Flashbacks und quälenden Erinnerungen nachlassen. Eine Therapie der Trauer ist dagegen viel schwieriger. Wir kennen keine Methode, wie wir von außen den Trauerprozess in positiver Weise beschleunigen könnten. Die Trauer ereignet sich, sie ist in vielerlei Hinsicht ein für sich autonomer Prozess, der in jedem Menschen anders verläuft. Wir können Trauer nicht therapieren, sondern im Grunde nur begleiten. Trauer verläuft oft chaotisch und es dauert nach dem Tod eines Kindes oder Partners meist Jahre, bis du zur Ruhe kommst.

Diese eigentliche Trauer beginnt erst jenseits des Traumas.


David Althaus

 
Zurück
Zurück

Folge 3: Das Erwachen aus der Schockstarre

Weiter
Weiter

Folge 1: Verlust im 21. Jahrhundert