Folge 6: Anerkennung der Größe des Verlusts
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Heute möchte ich über Anerkennung sprechen. Anerkennung braucht im Grunde genommen jeder Mensch. Schon als Kind wünschen wir uns die Anerkennung unserer Eltern für das, was wir sind und was wir erleben. Anerkennung und Respekt sind sehr wichtig für die Entwicklung unseres Selbstwerts. Das ist nahezu bei allen Menschen so und im menschlichen Miteinander ist es üblich sich selbst für Kleinigkeiten gegenseitig die Anerkennung auszusprechen. Zu den größten und wichtigsten Dingen, die dir in deinem Leben widerfahren sind, zählt dein Verlust. Er ist eine sehr schmerzhafte und ungewollte Erfahrung, aber eben doch auch etwas ungeheuer Großes in deinem Leben. Dass dein Kind oder Partner gestorben ist, ist größer als das Allermeiste, das du sonst erlebt hast. Und auch wenn das vielleicht zunächst seltsam erscheint, hast du für die Größe deines Verlusts die volle Anerkennung verdient. Und da wiederum tut sich die Welt oft schwer. Die anderen sind anfangs bestürzt über deinen Verlust, aber nach einiger Zeit möchten viele lieber nicht mehr darüber sprechen, als könnte man allmählich vergessen, was dir zugestoßen ist. Und damit machen sie deinen Verlust klein, obwohl er unendlich groß ist.
Ein wichtiger Teil meines Tuns besteht darin, die Größe deines Verlusts voll anzuerkennen, nichts zu relativieren, keine falsche Hoffnung zu machen, keine heilende Salbe anzubieten. Was geschehen ist, liegt außerhalb aller Erfahrung, die du bisher gemacht hast. Es ist unvergleichbar mit den Schwierigkeiten, die dein Leben bisher erfuhr. Du weißt das und deshalb verdienst du für deinen Verlust die volle Anerkennung. Ich zolle dir meinen Respekt vor der Größe und Wichtigkeit dessen, was gesehen ist. Anerkennung des Leids ist ein zentrales menschliches Bedürfnis. In diesem Moment geht es nicht um Linderung oder Besserung. Es geht nur darum, gesehen und gehört zu werden in der Schwere des Verlusts.
Auch Menschen ohne schwere Verlusterfahrung wissen, wie wichtig der Respekt der anderen für sie selbst ist, wenn ihnen Ungemach widerfährt. Wenn z.B. eine Partnerschaft zu Ende geht, will niemand hören, dass es schon wieder besser werde, dass man nie wisse, wozu es gut sei, dass man den Kopf nicht hängen lassen solle. Das alles ist nicht hilfreich. Unterstützend wäre ein Wort des Respekts und die Bereitschaft, die andere Person nicht ändern zu wollen, sondern ihren Schmerz auszuhalten. So plausibel dies auch klingt, sieht die Realität oft anders aus. Anfangs begegnet man Menschen mit existentiellen Verlusten mitfühlend und vorsichtig, aber bereits nach wenigen Wochen oder Monaten wird von außen explizit oder unterschwellig die Erwartung herangetragen, es müsse nun endlich mal wieder besser gehen. „Kannst du schon loslassen? Du musst zuversichtlich in die Zukunft blicken!“
Der Trauerforscher Kenneth J. Doka hat dieses Phänomen Disenfranchised Grief genannt, die „aberkannte“ oder auch „entrechtete“ Trauer. Er meint damit die Tatsache, dass viele Hinterbliebene die Erfahrung machen, dass ihre Art der Trauer von den Mitmenschen missbilligt wird. Dass ihnen vermittelt wird, sie müssten es anders machen. Das geschieht nicht immer direkt, sondern häufig verdeckt, oft auch hinter dem Rücken der Trauernden. Die Botschaft lautet im Grunde: „Du hast kein Recht so zu sein, wie du bist. Stell dich nicht so an. Du solltest dich zusammenreißen. Wenn du nur wolltest, könnte es dir besser gehen.“ Viele von euch haben das erlebt, es ist wie ein Schlag ins Gesicht, der hilflos und wütend macht. Meist entsteht dies nicht durch Boshaftigkeit, sondern schlicht durch Ignoranz: die anderen können sich einfach nicht in deine Lage hineinversetzen.
Deshalb ist der Austausch mit Menschen so wichtig, von denen du dich voll anerkannt fühlst. Das können gute Freunde und Familienangehörige sein. Sehr häufig sind es Menschen, denen ähnliches widerfahren ist wie dir. Sie respektieren deinen Schmerz und achten deinen Umgang mit deinem Verlust. Nirgends habe ich eine so große Bereitschaft zu Akzeptanz und Anerkennung erlebt wie in der Gemeinschaft der Trauernden.
Hier wirst du gehört und gesehen.
David Althaus