Einführung zu den „Beobachtungen am Rande der Galaxie“
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Ich begleite seit zwei Jahrzehnten Menschen, denen Unfassbares zugestoßen ist. Ihnen wurde ein geliebter Mensch zur Unzeit entrissen und sie kämpfen damit, wie ihr Leben weitergehen könnte. Fast alle, die meine psychotherapeutische Praxis besuchen, haben solche Erfahrungen gemacht, bei den meisten ist ein Kind oder der Lebenspartner gestorben und damit wurde ihr Leben in eine andere Galaxie katapultiert.
Auch du lebst nicht mehr in der Welt von früher, sondern in einer neuen, in der du mühsam versucht, dich zurechtzufinden. „Niemand kann verstehen, was das bedeutet! Niemand, der es nicht selbst erfahren hat.“ Ich weiß nicht, wie oft ich den Satz schon aus euren Mündern gehört habe. Und ihr habt so recht damit, denn viele der Beteuerungen angeblichen Mitgefühls („ich kann mir so gut vorstellen, wie es dir geht“) sind schwer erträglich. Aber mir sagt ihr den Satz so, als gelte er für mich selbst nicht. Als sei gerade ich derjenige, der versteht, obwohl er es nicht erlebt hat.
Dabei ist mir selbst in meinem Leben noch nie ein Unglück zugestoßen, das dem euren vergleichbar wäre. Ich bin kein Bewohner eurer Galaxie. Seit zwanzig Jahren taste ich mich mühsam bis zum Rand eurer Welt vor, und spähe hinüber, um nachzuvollziehen, was sich jenseits davon ereignet. Und ihr seid so offen zu mir, erzählt mir eure Geschichten von Glück und Leid, und zeigt mir eure schmerzenden Wunden und was es bedeutet, das frühere Leben verloren zu haben. Danke für euer Vertrauen! Und doch bin ich außerhalb, auch wenn ich mich noch so einfühle, auch wenn ich noch so sehr versuche, euer Leid zu verstehen, so bleibe ich doch immer jenseits eurer Welt, denn meine Kinder leben, meine Frau lebt und ich kenne euern Schmerz nur aus euren Erzählungen. Ich fühle euren Schmerz wenn ihr vor mir sitzt. Aber es ist nicht meiner. Das ist die Prämisse meiner Arbeit und auch meines Engagements für Menschen nach existentiellen Verlusten. Ich bin nicht einfach einer von euch, denn mein Leben wurde nicht tödlich verwundet.
Auch von jenseits kann man Gutes fördern, ermutigen, mitfühlen. Aber es ist eben nicht mein Verlust und auch nicht mein Leben. Es ist euer Verlust und euer Leben! Ihr seid meine Lehrer und immer wieder zeigt ihr mir neue Windungen auf den verwirrenden Wegen der Trauer. In gewisser Weise erlebe ich mich dabei auch als Forscher, denn eure Erfahrungen sind oft sehr unterschiedlich, eure Empfindungen so vielfältig, dass sie jedes Schema zu sprengen scheinen. Ich versuche all die Varianten und Puzzlestücke in mich aufzunehmen, sie zu ordnen und zu verstehen und sie auch zu nutzen, um anderen in bestimmten Situationen besser zur Seite stehen zu können.
Ich möchte hier ein paar meiner Beobachtungen mit euch teilen, ich will euch etwas zurückgeben von dem, was sich durch eure Geschichten in mir verdichtet. Es sind meine Eindrücke eurer Wege, aus dem Blickwinkel von außen mit dem Bemühen zu verstehen. Es werden also keine Wahrheiten sein, sondern eher Skizzen und ich bin gespannt darauf, mich mit euch darüber auszutauschen.
Ich nenne sie „Beobachtungen vom Rand der Galaxie“.
David Althaus