Unsichtbar
Es ist alles über drei Jahre her. Weit weg und doch ganz nah. Der Alltag ist mein neues Leben. Und dann ist es plötzlich ein kleines Kerlchen, das mich jäh zurückholt. Völlig unerwartet packt es mich. Ich weine. Ungebremst und dann auch ungehemmt.
Es ist ein wohlvertrauter Kobold, der mich mitnimmt und dann gar nicht mehr loslässt. Mit der ihm eigenen Art stellt er Fragen, die man sich eigentlich so nicht stellt. Und doch sind es Fragen, auf die man, auf die auch ich Antworten haben möchte. Seine Offenheit nimmt mich mit. Eine Direktheit, die wir uns alle meist gar nicht trauen, nicht zutrauen. Es ist jemand, der es einfach wissen will. Ganz genau wissen möchte.
Einige Zeit muss es her sein, seitdem er tot ist, der alte Meister Eder. Auch der Kobold aus der alten, urigen Werkstatt weiß das. Er weiß, dass der Eder nicht mehr da ist. Mausetot, sagt er selbst. Und doch sagt das eben nicht alles. Von Eders Nachfolger, dem Florian, dem Neffen vom alten Franz, der plötzlich so gut in die alte Schreinerei passt, will er es dann doch ganz genau wissen. Und so brechen beide auf zu dem Ort, wo der alte Eder ist. Oder zumindest an den Ort, von dem der Flori sagt, dass er dort sei.
Es ist ein Münchner Friedhof, und es ist ein Grab. Dort soll der Eder sein, fragt sich das Kerlchen. Er wirkt froh, dass er den Ort nun kennt. Und doch ist er auch wieder ein wenig verwirrt, fast beunruhigt. Dort, an diesem unscheinbaren Fleck mit den arg vertrockneten Pflanzen? Der Meister Eder soll dort sein, erschrickt er.
Aber natürlich wäre es Schmarrn, ja auch nicht richtig, nach ihm zu graben, ihn da unten herauszuholen. Weil er da ja gar nicht ist. Doch wo denn sonst? Es ist viel, was man in kurzer Zeit lernen muss. Und dann trotzdem nicht verstehen kann. Es ist sein toter Körper, der dort liegt. Und ja, der alte Eder wird nicht wiederkehren. Leider. Und doch ist der Eder weiterhin da. Es muss diese Seele sein, von der sein Neffe spricht, auch wenn es ganz so wirkt, als ob er sich selbst nicht so recht erklären kann, was das ist. Alles eben, was den Eder ausmacht. Alles, was er war, was er ist, seine Gedanken, seine Gefühle, sein Lachen, die vielen guten Erinnerungen. Und ja: Selbstverständlich gehören der Spaß und das Bier dazu. Auch der Flori lernt schnell. Ein Kobold darf das. Er liebt Bier. Beim nächsten Mal auf dem Friedhof nehmen beide was mit ans Grab. Mindestens zwei Maß für jeden. Meint der Kobold. Das will der Flori sehen. Sie lachen. Das nächste Mal denkt er daran. Auch an den kleinen Maßkrug. Dann weht sogar ein Windhauch, und im Baum neben dem Grab wackeln die Blätter. Wie zustimmend.
Ich weine. Ich bin in meiner eigenen Kindheit. Ich bin bei unseren Kindern. Ich bin beim Tod. Ich geniere mich ein wenig. Ich geniere mich dann ganz und gar nicht. Ich weine. Ich lache. Ich fühle mich eng verbunden. Danke, Pumuckl.
Rupert Sommer
(Die Produktion „Neue Geschichten vom Pumuckl“ lief zunächst im Kino und ist ab 11. Dezember zuerst bei RTL+, ab 25. Dezember bei RTL als Serie zu sehen.)
Bildnachweis: RTL/NeueSuper